Antispeziesismus - Wieso, weshalb, warum? Wer nicht liest bleibt dumm.

"Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern. Er will unter sich keine Sklaven sehn' und über sich keine Herrn."1

Antispeziesismus – ein kontrovers diskutiertes Thema, auch und insbesondere in der 'linken' Szene. Oft wird der Diskurs kaum inhaltlich, sondern polemisch geführt. Eigentlich ausschlaggebende, tief verwurzelte Emotionen, Ängste, Machtansprüche werden mit teils absurden Scheinargumenten verschleiert. Dieser Artikel soll einen kleinen Beitrag dazu leisten, die Diskussion über Antispeziesismus wieder auf einer sachlicheren normativen Ebene zu führen.

Speziesismus, was ist das eigentlich? Speziesismus ist die Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung eines Individuums aufgrund seiner Artenzugehörigkeit. Wahrgenommende Unterschiede werden als Legitimationsgrundlage verwendet, um andere Spezies zu unterdrücken. Nach den von Menschen aufgestellten Kriterien 'anders' sein ist im Speziesismus gleichbedeutend mit Minderwertigkeit.2 Menschen machen sich diese 'minderwertigen' Spezies unhinterfragt zu eigen – weil sie können. Dieser Ideologie liegt ein immanenter Chauvinismus3 zugrunde, bei dem es um Inklusion und Exklusion geht: Es werden willkürliche Kategorien aufgestellt, um nichtmenschliche Tiere von bestimmten Rechten4 auszuschließen. Diese Grenzziehung zwischen dem 'Wir' und dem 'Anderen', die maßgeblich auf Macht- und Profitinteressen basiert, kennen wir nicht nur aus dem Verhältnis zwischen Menschen und anderen Tieren, sondern auch innerhalb der menschlichen Spezies: Herrschaftsansprüche und Diskriminierung aufgrund von Geschlechts-, Staats-, Ethnie-, Klassen- bzw. Schichtenzugehörigkeit usw. sind sowohl historisch als auch gegenwärtig feste Bestandteile menschlichen Lebens. Auch hier werden ähnliche Strategien angewandt, um 'Andere' abzuwerten und zu beherrschen. Bestimmte Individuen werden zum 'Wir' hinzugezählt, genießen Rechte und Zugang zu Ressourcen, von denen die nicht als Zugehörige und damit als minderwertig und irrelevant definierten Individuen, eben aufgrund dieser Kategorisierung, ausgeschlossen werden.

Insbesondere gegenüber Frauen, Menschen anderer Herkunft/Hautfarbe, Behinderten und Kindern fanden und finden in unserer Gesellschaft ähnliche Mechanismen der Unterdrückung statt wie gegenüber anderen Spezies. Alle Versuche der Abwertung zielen auf die 'Natürlichkeit', 'Instinkthaftigkeit' und/oder 'Irrationalität' dieser Individuen ab, die dadurch dem vermeintlich intellektuell und kulturell überlegenen (weißen) Mann bzw. Menschen unterlegen sind und in seiner Verfügungsgewalt stehen. Um die Ähnlichkeit dieser Herrschaftsmechanismen zu verstehen, lohnt sich ein Blick in das abendländische Naturverständnis5, in das hier nur ein kurzer Einblick gegeben werden kann.

Das abendländische Naturverständnis hat sich von der Antike bis heute zwar gewandelt, aber dennoch gibt es Parallelen. Bereits Aristoteles vertrat ein teleologisches Verständnis der Natur, wonach alle Lebewesen einer strikten, statischen Hierarchie unterworfen seien und einen spezifischen, unvermeidlichen Zweck zu erfüllen hätten. Die Spitze dieser Hierarchie bildeten – wen wundert's – die freien, weißen, griechischen Männer, da sie den Göttern am nächsten stünden und am vernunftbegabtesten seien. Aristoteles unterschied zwischen „von Natur Regierenden“ und „von Natur Regierten“: für ihn war die Herrschaft von (freien) Männern gegenüber Frauen, Sklaven und anderen Völkern genauso selbstverständlich und determiniert wie die Herrschaft von Menschen über andere Spezies.6 Ähnlich verhält es sich im Christentum, wonach Menschen bzw. Männer einen göttlichen Herrschaftsauftrag über die Natur zu erfüllen hätten. Die reine göttliche Zweckerfüllung wird um die Teilhabe des Menschen am göttlichen Schöpfungsakt ergänzt. Erst in der Aufklärung wird der teleologische Gedanke von der Natur als ganzheitliches Gefüge aufgegeben, allerdings nicht zum Vorteil derer, die als 'Natur' definiert werden. Descartes entwarf den Dualismus zwischen Geist und Materie, der bis heute als Charakteristikum der Moderne gilt.7 Dies bot nicht nur die Möglichkeit andere Tiere zum geistlosen Material herabzustufen, sondern auch Frauen8 und andere als geistig minderwertig betrachtete Menschen. Mit diesem Dualismus entstand der Dualismus von Natur und Mensch, von Objekt und Subjekt, der alle der 'Natur' zugehörigen zum „unerschöpflichen Warenlager“9 machte, welches denjenigen, die sich als dem 'Geist' zugehörig definieren zur Ausbeutung zur Verfügung steht. Was zur 'Natur' (Materie) oder zum 'Menschen' (Geist) gezählt wird hängt von jeweiligen kulturellen und historischen Kontexten ab. Mit der Berufung auf 'natürliches' Vorrecht degradieren sich die Herrschenden allerdings nach ihrer eigenen Logik selbst zu unfreien, von der 'Natur' determinierten, gegebene Verhältnisse nicht hinterfragen und verändern könnenden Objekten. Sie verstricken sich hierbei in einen unweigerlichen argumentativen Widerspruch, allein mit dem Ziel ihre Herrschaft um jeden Preis zu legitimieren. Speziesismus und andere unterdrückerische Ideologien sind somit kein statisches Gebilde, sondern kulturelle Konstrukte, die sich nur unter Betrachtung der spezifischen Machtverhältnisse und Interessen verstehen lassen.

Warum sollten wir uns als Menschen gegen Speziesismus einsetzen, wo wir doch selbst davon profitieren, weil wir uns an die Spitze der Herrschaft katapultiert haben? Aus genau denselben Gründen, warum Männer gegen männlichen Chauvinismus und patriarchale Herrschaftsstrukturen kämpfen und Ethnien sich gegen Rassismus wehren sollten, auch wenn sie selbst nicht von dieser Unterdrückung betroffen sind. Herrschaft ablehnen bedeutet nicht nur die Herren über sich zu identifizieren und zu entmachten, sondern auch die Sklaven unter sich ausfindig zu machen und sich selbst zu entmachten - kurz: versuchen sich von allen Ebenen der Herrschaft zu befreien.

Beim Antispeziesismus sollte es genausowenig um verniedlichende 'Tierliebe' gehen wie im Antirassismus um romantisierende Vorstellungen von anderen Kulturen. Vielmehr geht es um die Relevanz und Zugestehung einer selbstbestimmten Gestaltung des Lebens anderer Spezies nach ihren jeweiligen sozialen und biologischen Bedürfnissen, Empfindungen, Bewusstseins- und Intelligenzformen und in von ihnen selbst gewählten Lebensräumen – abseits von kapitalistischer, anthroprozentrischer Degradierung als Ware, Konsumgut, Sklaven und Eigentum. Daher impliziert Antispeziesismus notwendigerweise auch eine vegane und antikapitalistische Lebensweise.10 Andere Spezies gehören ebensowenig unter menschliche Verfügungsgewalt wie Frauen unter männliche oder farbige Menschen unter weiße. Ein ernsthaft emanzipatorischer Ansatz erfordert Reflexion über jegliche gesellschaftlichen Rollen, insbesondere auch über solche, in denen man selbst die Herrschaftsposition einnimmt – dazu gehört auch sich mit der Rolle kritisch auseinanderzusetzen, die man als Mensch gegenüber anderen Tieren einnimmt.

Antispeziesismus ist kein Antihumanismus, im Gegenteil: Gleichwertigkeit von allen Tieren bedeutet keine Bevorzugung nichtmenschlicher Tierarten. Genauso wenig wie gleichwertige Frauenrechte eine Benachteiligung von Männern und Bevorzugung von Frauen bedeutet. Denn Unterdrückung von Menschen, weil sie Menschen sind ist ebenfalls eine Form von Speziesismus. Wohl aber geht es darum die absolute menschliche Vormachtstellung zu delegitimieren und die Ideologie von Menschen als 'Krone der Schöpfung' genauso als Illusion zu entlarven und damit den Kampf anzusagen, wie anderen repressiven Ideologien. Dementsprechend richtet sich der Antispeziesismus gegen die Diskriminierung, Unterdrückung, Ausbeutung und Versklavung sämtlicher tierlicher Spezies. Er reiht sich damit ein in Bewegungen wie den Antisexismus, Antifaschismus, Antikapitalismus etc. und setzt diese konsequent fort.



Fußnoten:

1 Einheitsfrontlied - Text: Berthold Brecht/ Melodie: Hanns Eisler; Schönste Interpretation: Ton Steine Scherben.

2 Siehe: Anti Speziesismus: Was ist Speziesismus?. http://www.anti-speziesismus.de/wasistspeziesismus.html.

3 Chauvinismus ist in diesem Artikel definiert als die Zurschaustellung oder das Gefühl vermeintlicher Überlegenheit der eigenen Gruppe und der ggf. daraus resultierenden Ausübung von Herrschaft.

4 „Recht“ ist hier zu verstehen als normativer, inhaltlicher Begriff, in Abgrenzung zum formalen Rechtsbegriff.

5 Spezifisch am abendländischen Naturverständnis ist die Vorstellung von Natur als Determinismus, die in dieser Form nicht in allen anderen Kulturen existiert. Diese ebenfalls vorzustellen würde an dieser Stelle zu weit führen, da durch ein anderes Kultur- und Naturverständnis auch andere Legitimationsstrategien von Herrschaft vorliegen.

6 Siehe u.a.: Aristoteles: Politik, Hamburg 1994, S. 43 ff.; Aristoteles. Tierkunde, Paderborn 1949, S. 49 ff.

7 Uta Eser (1998): Der Naturschutz und das Fremde, S. 112 – 115.

8 Interessant: die etymologische Verwandschaft der Wörter „Mutter“ (indogerm. Stammwort mātér-) und „Materie“.

9 Stefan Heiland (1992): Naturverständnis, S. 36, zitiert nach: Uta Eser (1998 : 114).

10 Es bestehen enorme kapitalistische Interessen an der Ausbeutung und Verwertung anderer Spezies zu unterschiedlichsten Zwecken und der Aufrechterhaltung dieser Verhältnisse. Da diese Verwertungslogik auf den Legitimitätsglauben der zu KonsumentInnen degradierten menschlichen Individuen angewiesen ist, die überzeugt sein müssen, dass sie durch diese Form der Ausbeutung eine privilegierte Stellung einnehmen, obwohl sie von dieser Verwertungsogik nicht verschont bleiben, besteht aus kapitalistischer Sicht keinerlei Interesse auf Propaganda für Ausbeutung und Konsum von anderen Tieren zu verzichten. Aus diesen Gründen ist auch eine Hinterfragung der Herrschaft über nichtmenschlicher Tiere aus kapitalismuskritischer Perspektive von großer Bedeutung. Weiterführende Literatur zu diesem Thema: Offensive für Tierrechte (2000): Beasts of Burden. Kapitalismus - Tiere - Kommunismus.

Allgemein
Medien
Politik
Tierrechte, Antispeziesismus
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren